Roy Kieferle

Natur-Philosoph am Gasherd

Roy Kieferle ist Spitzenkoch, Kräuterexperte, Vollwert-Pionier und einer der ersten Fußballköche. Viele kennen ihn aus dem Fernsehen, doch als Fernsehkoch sieht er sich nicht. Wir haben den GVP-Kunden in der Küche seines Restaurants auf dem Dobel besucht und viel Nahrhaftes mitgenommen.

Der Raum ist überschaubar, keine Hightech-Großküche für Heerscharen von Köchen und Küchenhilfen – hier herrscht nur einer über den Herd. Ein Gasherd natürlich, etwas anderes käme für den Profikoch nicht in Frage „weil man nur damit richtig kochen kann“. Auf der Arbeitsinsel in der Mitte die Getreidemühle, in der gerade lautstark der Dinkel für das tägliche Brotbacken gemahlen wird. Der Steinbackofen, ein Dampfgarer, eine Saftzentrifuge. Auf den Wandborden Vorratsgläser mit Gewürzen und Körnern. Man merkt sofort, dass Roy Kieferle sich hier sein ganz persönliches, eigenes Reich geschaffen hat.
 

Seine Küche ist für ihn auch weit mehr als ein Arbeitsplatz. „Hier ist mein Ruhepol und Rückzugsort, an dem ich mich sammeln und zu mir kommen kann“, sagt er, während er mit der Routine eines 60-jährigen Kochlebens unglaublich schnell Zwiebeln schneidet – ohne hinzusehen. Solange die Zwiebeln anschwitzen, geht er frische Kräuter holen. Dazu ist kein Marktbesuch nötig, denn Liebstöckel, Koriander, Dost und Co wachsen im eigenen Garten. Fein geschnitten kommen sie zu den Zwiebeln in die Pfanne und bald füllt ein köstlich aromatischer Duft die Küche und würzt Roy Kieferles spannende Lebensgeschichte, die er jetzt erzählt.

Die ist so bunt und vielfältig wie das Ratatouille, das er heute zubereitet. Da waren die schweren Anfänge „als amerikanisches Besatzerkind“ in den Hungerjahren der Nachkriegszeit in Stuttgart. Die Kochlehre, „ein Rat meines Großvaters, weil man als Koch immer etwas zu essen hat“, die Laufbahn in guten Häusern, die ihn zum Spitzenkoch machte. Die Hochzeit mit Ehefrau Renate und Übernahme des schwiegerelterlichen Gasthofs Wagnerstüble auf der Sonneninsel Dobel. Und schließlich der Wendepunkt, als er durch falsches Essen krank wurde und sich mit natürlicher Vollwertkost selbst gesund kochte.

„Was mir geholfen hat, kann auch anderen gut tun“, sagte er sich, machte eine Heilpraktiker-Ausbildung und wurde zum Pionier einer Ernährungsweise, die damals, Mitte der 1970-er Jahre, vielen noch als esoterische Spinnerei galt. „Dabei gibt es klare Fakten und wissenschaftliche Beweise, dass naturbelassene, schonend zubereitete Lebensmittel das Beste für unseren Körper sind. Und sie schmecken ja auch viel besser als Industrie- und Fertignahrung voller Chemie.“ Und so wurde die „kulinarische Vitalküche“ seine Leidenschaft.

„Ich wollte immer den Menschen natürliches Essen schmackhaft machen.“

Diese ungewöhnliche Tätigkeit machte ihn „bekannt wie ein bunter Hund“, brachte ihn ins Sportfernsehen und zahlreiche TV-Talks. Und die Dobeler Nachbarn bestaunten die Promis mit Edelkarossen, die man in der ansonsten so stillen Straße am Waldrand jetzt zu sehen bekam.

Eine mutige Entscheidung, mit der er zunächst den wirtschaftlichen Erfolg seines Restaurants riskierte, denn viele Gäste blieben weg. Doch es kamen andere und immer mehr, die begeistert waren und sich Roys leckere Gerichte dankbar schmecken ließen. So sprach sich bald herum, was auf dem Dobel Gutes zu finden war – wohlgemerkt zu Zeiten, als es noch keine digitalen Kanäle gab.  

Die Pforzheimer Zeitung, der er bis heute regelmäßig Rezepte liefert, schrieb über ihn. Es dauerte nicht lange, bis Radio und Fernsehen auf ihn aufmerksam wurden und er in zahlreichen Sendungen seine Gesund-Küche populär machte. „Und dann klingelt eines Tages das Telefon und der Christoph Daum ist dran.“ Der damalige Trainer des VfB Stuttgart holte Roy Kieferle als Ernährungs-Coach ins Team. Zunächst päppelte er die VfB-Spieler mit Vollwerternährung auf, später machte er dann die Stars von Bayer 04 Leverkusen fit und war auch als Berater des DFB gefragt.

Über die Fußballstars hätte Roy Kieferle jede Menge Anekdoten auf Lager, „aber ich hab den Jungs versprochen, nicht zu viel zu erzählen“. Doch er gibt zu, dass es nicht immer leicht war, die jungen Männer weg vom fetten Fleischkäsweckle, hin zu Fisch, viel Gemüse, Reis und Kräutern zu bringen. Als beste Überzeugungsarbeit erwies sich dabei das Essen selbst, das er auf den Tisch brachte. „Die waren richtig baff, dass es geschmeckt hat, und mit frisch gepressten Säften habe ich sie alle gekriegt.“ Die Wirkung konnten die Spieler am eigenen Leib erleben. Die gefühlte Fitness steigerte sich und objektive Blutwertevergleiche überzeugten sogar die größten Skeptiker, auch unter den Funktionären.

In all dieser Zeit war er viel in der Welt unterwegs, doch das Wagnerstüble blieb immer die bodenständige Basis. „hier schlägt das Herz, hier hab ich meinen Wald und die Stille und natürlich meine Küche“.

Tu deiner Gesundheit Gutes, damit deine Gesundheit dir Gutes tut.

Über die Frage, was denn nun eine gesunde, sportgerechte Ernährung ausmacht, hat Roy Kieferle ganze acht Kochbücher geschrieben und könnte endlos darüber reden. Die Essenz seiner Philosophie erklärt er anhand der Zutaten für sein heutiges Mittagsgericht.

Die Kartoffeln sind aus regionalem Bio-Anbau, „ganz in der Nähe natürlich gewachsen, ohne Zwangsernährung durch Kunstdünger und ohne chemischen Pflanzenschutz, die Abfallprodukte bei uns im Körper hinterlassen“. Sie werden schonend im Dampf gegart, anstatt in viel Wasser gekocht, „so bleiben die Nährstoffe drin, statt dass man sie ausschwemmt“. Die Linsen, die dazu gemischt werden, bringen pflanzliches Eiweiß, wertvolle Kohlehydrate, Ballast- und Vitalstoffe mit, die der Körper gut verwerten kann.

Hauptbestandteil des Gerichts wird eine farbenfrohe Mischung aus viel sommerlichem, nährstoffreichem Bio-Gemüse, das eben jetzt Saison hat. Gewürzt wird sparsam mit Salz, dafür großzügig mit allem, was der Kräutergarten hergibt. „Kräuter sind überhaupt das A und O. Da stecken so viele Vitalstoffe drin, die zum Beispiel den Stoffwechsel stimulieren, Entzündungen hemmen, die Leber unterstützen. Da könnte ich Ihnen ganze Vorträge dazu halten.“

Zur gesunden, ausgewogenen Mischkost gehören auch Milchprodukte und in Maßen Fisch und Fleisch aus artgerechter Bio-Haltung. Dazu Nüsse, Müsli und Getreideflocken. Wenig und wenn dann wertvolle Fette wie Olivenöl. Man sollte ausreichend trinken, vor allem Wasser, frische Obst- und Gemüsesäfte, Kräuter- und Blütentees, gegen ein gelegentliches Glas Wein oder Bier ist aber nichts einzuwenden.

Essentiell ist, dass nur naturbelassene Zutaten verwendet werden. „Industrienahrung und chemische Zusätze belasten den Stoffwechsel, stressen den Körper und ziehen Energien ab. Durch Essen im Einklang mit der Natur holen wir uns die Mineralien, Spurenelemente, Eiweiße und Enzyme, die uns stark machen, indem sie regenerative Prozesse fördern und dem Körper helfen, sich selbst zu heilen“, erklärt er und betont die positiven Effekte auch für die mentale und psychische Stärke.

„Man ist fitter, entspannter, wacher und hat mehr Schwung.“

Er selbst ist wohl der beste Beweis dafür. Nur so ist zu erklären, woher er die Energie für seine unzähligen Aktivitäten nimmt. Nach wie vor hält er Kochkurse und Vorträge, berät Ratsuchende bei der Ernährungs­planung und geht in Kinder­gärten und Schulen, um schon die Kleinsten auf den richtigen Ernährungsweg zu bringen – besonderen Eindruck macht er dabei immer, wenn er 20 und mehr Pfannkuchen auf einmal durch die Luft wirbelt. Das bleibt nachhaltig hängen bei den Kindern und Jugendlichen. Berühmt und beliebt sind seine Bärlauch­wanderungen – den Titel „Bärlauchpapst“ lässt er sich schmunzelnd gefallen – die diesjährige musst leider ausfallen aus bekannten Gründen. Bis vor kurzem war er zu alldem Gemeinderat und er spielt noch aktiv in der Mannschaft der Fußballköche. Schwer zu glauben, dass er bereits 73 ist.

Ans Aufhören denkt er noch lange nicht, „dazu macht es einfach zu viel Spaß“. Also verwöhnt er weiter seine Gäste mit frischen, täglich wechselnden Köstlichkeiten. Wer sie genießen will, muss allerdings vorab reservieren. „Das haben wir auch schon vor Corona so gemacht, weil man dann einfach besser auf den Punkt planen kann und keine Lebensmittel mehr wegwerfen muss“, erklärt Renate Kieferle, die seit vielen Jahren gemeinsam mit ihrem Mann den Betrieb führt und die Gäste umsorgt. „Der Chef im Haus ist sie“, sagt der und schmunzelt, „nur nicht in meiner Küche.“